Sie ist nach wie vor allgegenwärtig, die Gewalt gegen Frauen in all ihren Facetten. Das wurde auch bei der Podiumsdiskussion am Donnerstag deutlich, zu der das Frauenforum im Rahmen der Frauenwoche eingeladen hat. Körperliche Verletzungen heilen. Doch die Seele leidet meist ein Leben lang.
40 Jahre ist es her, dass Heidi R. vergewaltigt wurde. Sie war damals 15 Jahre alt, fast noch ein Kind. Hilflos war sie diesem Mann ausgeliefert, mit der Pistole auf der Brust, der, wie sich später herausstellte, sich an weiteren 15 Mädchen vergangen hat. Spezifische Beratungs- oder erste Anlaufstellen gab es Ende der 70er-Jahre noch nicht. Der von den Eltern hinzugezogene Psychiater gab lediglich den Rat mit auf den Weg, „das Ganze zu beobachten“.
Der Täter wurde zwar gefasst, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass ihr Leben von diesem Tag an ein grundlegend anderes war. Ein Leben in Angst, etwa davor, er könnte ihr nochmals auflauern. Ein Leben der verstörten Gefühle, des Alleinseins, der Scham und des tiefen Vertrauensverlusts in das Leben schlechthin ging von diesem tief traumatischen Erlebnis aus.
Der Täter ist inzwischen verstorben. Als sie das erfahren hat, hat sie eine Kerze angezündet. Und spürte Erleichterung. „Jetzt ist es endgültig vorbei, er kann nicht mehr kommen“, so ihre Gedanken. Sie hat davor versucht, ihn anzurufen. Um von ihm zu hören, warum er ihr das angetan hat. Es kam nicht so weit, weil die Mutter des Täters das Gespräch verhindert hat. Heidi R. leidet noch heute. Schläft unruhig, die Bilder dieser Nacht drängen sich ihr immer wieder auf. Aber sie lebt inzwischen in einer liebevollen Partnerschaft, in der sie sich geborgen fühlt und Vertrauen haben darf. Das ist nicht selbstverständlich.
Heute sagt sie, so eine Tat sei „ganz klar ein Mord an der Seele“. Irgendwann bekam sie einen Herzinfarkt. „Das habe ich genau an der Stelle gespürt, wo die Pistole war damals“. Sie ist sich sicher, dass das mit der Vergewaltigung zu tun hat. Warum sie heute so mutig am Podiumstisch Platz genommen hat, ist schnell erklärt: Sie will anderen Betroffenen helfen und Mut machen, zeigen, dass sie nicht alleine sind, sie ermutigen, sich Hilfe zu holen.
Etwa beim WEISSEN RING, ein gemeinnütziger Verein, der Opfer von Verbrechen schnell und unbürokratisch helfen kann. Gemeinsam mit ebenfalls ehrenamtlich arbeitenden Kolleginnen und Kollegen (wichtig, damit weibliche Opfer wissen, dass es dort auch Frauen gibt) ist Josef Rothmund für den Landkreis Sigmaringen zuständig. Seit Anfang dieses Jahres haben sich bereits 15 Frauen an den Verein gewandt, eine extrem hohe Zahl. „Es ging überwiegend um sexuellen Missbrauch oder sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz“, sagt der pensionierte Polizeibeamte. Uwe Kärcher und seine Kolleginnen und Kollegen vom Polizeirevier Bad Saulgau werden in Akutsituationen gerufen. Deren Aufgabe ist es etwa, den „Aggressor“ aus der Wohnung zu entfernen und dann das weitere Vorgehen festzulegen. Oft seien auch Kinder anwesend, die das Ganze miterleben müssen. „Wir sind froh, dass es in Sigmaringen das Frauenhaus gibt“, sagt Revierleiter Uwe Kärcher.
Heraus aus der Gewaltspirale
Bevor die Frauen ins Frauenhaus kommen, haben sie in aller Regel einen immensen Leidensweg hinter sich. „Frauen wollen einfach, dass die Gewalt aufhört, dass sie mit ihrer Familie ein friedvolles Leben führen können“, sagt Bettina Häberle von der Caritas. Meist gebe es auch eine finanzielle Abhängigkeit. Bis es zu Gewaltausbrüchen komme, seien „schleichende Prozesse“ am Laufen, in denen eine „Partnerschaft auf Augenhöhe“ zunehmend ausgehöhlt wird und eine Machtverschiebung stattfindet. Alle Podiumsteilnehmer sind sich einig, dass es inzwischen ganz viele Hilfeangebote gibt, die Betroffene beim Ausstieg aus der Gewaltspirale unterstützen können.
(Artikel aus der Schwäbischen Zeitung Bad Saulgau vom 15.03.2021; Urheber: Anita Metzler-Mikuteit)